brand eins 07/2016

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Titel: Es denkt nicht für dich

Schwerpunkt: Digitalisierung

Zum Inhalt dieses Heftes schreibt Chefredakteurin Gabriele Fischer:

Keep cool

• Ob es an der Spionage der NSA lag, an der oft selbst verschuldeten Abhängigkeit vom Smartphone oder an der Erkenntnis, dass auch online bestellte Waren Geld kosten und zusätzlich Arbeit und Zeit: Die Digitalisierung gerät immer häufiger in die Kritik. Nicht nur bei den ewig Gestrigen, die immer noch Papier bedrucken oder aus anderem Grund den Wandel fürchten: Selbst Sascha Lobo zweifelt, ob das alles so richtig gelaufen ist (S. 26).

Die gute Nachricht: Das ist normal. Wann immer ein neues Zeitaler beginnt und sich das Tempo der Veränderung erhöht, wird einem schnell schwindelig. Und schon zu Beginn der industriellen Revolution haben die Menschen darauf mit Angst, Feindseligkeit und Burnout reagiert, damals noch Neurasthenie genannt. Auch der Alarmismus ist keineswegs ein Kind unserer Zeit, sagt der Historiker Andreas Rödder, sondern „eine der typischen Abwehrreaktionen auf die Beschleunigungsschübe der Moderne“ (S. 48).

Zum üblichen Kater aber kommt der Zweifel, ob digital wirklich besser ist. Die Produktivitätsfortschritte sind kaum zu messen, an Big Data glaubt nur noch, wer daran verdient, und auch so manche Disruption ist, bei Licht betrachtet, Schaumschlägerei: Die Banken jedenfalls, prognostiziert Patrica Döhle, werden dem Ansturm der Fintechs noch eine ganze Weile standhalten (S. 72, 108, 84).

Doch was sind kleine Rückschläge, wenn man die Welt verändern will? „Die Lust an der Innovation ist eine Art Wahnsinn“, sagt der Zukunftsforscher Paul Saffo, der viele der Silicon-Valley-Größen persönlich kennt. Und wer liest, was der Autodesk-Entwickler Jeff Kowalski so alles plant, gibt ihm durchaus recht. Wo aber wären wir ohne die Verrückten, die erträumen, was noch keiner denken kann? In Israel ist das immerhin Teil der Nationalkultur. Und auch beim isländischen Prothetik-Hersteller Össur ist jeder willkommen, der Grenzen überschreitet (S. 38, 90, 52, 112).

Gefährlich wird es erst, wenn sich der Innovationsdrang mit Allmachtsfantasien verbindet – und das ist schnell passiert, wenn es um künstliche Intelligenz geht. Auch wenn Wolf Lotter berechtigte Zweifel anmeldet, ob sich kopieren lässt, was noch keiner definieren kann, ist die Lust an der Science-Fiction ungebrochen: Maschinen, so die gern verbreitete Vision, sind bald schlauer als wir und übernehmen auch die Jobs, die wir eigentlich mögen. Und es ist kein Zufall, dass gleichzeitig im Silicon Valley immer häufiger ein Grundeinkommen gefordert wird. Schließlich muss irgendjemand auch kaufen, was die Visionäre produzieren.

Dass dahinter auch Verantwortungsgefühl stecken könnte, ist zumindest für die Wiener Wissenschaftlerin Sarah Spiekermann zweifelhaft. Sie vermisst in der digitalen Szene ein Gefühl dafür, was deren Arbeit bewirkt. Die Programmierer leben in einer eigenen Welt, die für viele kaum noch zu durchschauen und zunehmend so komplex ist, dass der Laie resigniert. Dagegen allerdings haben Wissenschaftler in Cambridge ein Gegenmittel gefunden: Raspberry Pi ist nicht nur der billigste und einfachste, sondern auch einer der meistverkauften Computer, mit dem Kinder (und Erwachsene) lernen können, wie die binäre Welt funktioniert (S. 124, 58, 78).

Das ist ein guter Anfang, um zwischen Rausch und Ernüchterung die Orientierung zu behalten. Sonst helfen auch in Zeiten wie diesen: Gelassenheit und Humor.

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